Im vergangenen Jahr 2020 hatte das Theaterkollektiv Pierre.Vers.aus Anlass der 75. Wiederkehr der „Aktion Rheinland“ am 16./17. April 1945 eine – nach der beeindruckenden Zeitreise „Schwarz-helle Nacht“ 2019 zu Tatorten der Pogromnacht des 9./10. November 1938 in unserer Stadt – weitere performative Erinnerung zur „Aktion Rheinland“ am 16./17. April 1945 unter dem Titel „Aktion: Aktion!“ an Hand überlieferter Quellen erarbeitet. Sie war im Spätsommer/ Herbst 2020 viele Male auf dem Franz-Jürgens-Platz vor der Kulisse des Polizeipräsidiums gezeigt worden. Dank einer besonderen Zuwendung aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ konnten über 30 Polizisten/Innen unserer Düsseldorfer Polizei und einige weitere Gäste aus dem Polizeibereich (LKA, Vereinsmitglieder) diese dramaturgisch eindrucksvoll inszenierte Erinnerung in einer abschließenden Sonderaufführung miterleben.
Auch dieses Jahr gedenken wir dieser historischen „Aktion Rheinland“, die fünf Männer in unserer Stadt, Karl Kleppe, Josef Knab, Theodor Andresen, Hermann Weill und Franz Jürgens, mit ihrem Leben bezahlten. Wieder kann es - corona-bedingt - nur in einem kleinen Kreis mit Oberbürgermeister Dr, Keller, Polizeipräsident Wesseler, Jeanne Andresen (Enkelin von Theodor Andresen), Claudia Siebner (Enkelin von Aloys Odenthal), Dr. Fleermann (Mahn- und Gedenkstätte) und unserem Vorsitzenden neben Mitarbeitern/innen des städtischen Presseamtes und der Pressestelle/Öffentlichkeitsarbeit der Polizei geschehen.
Damit Sie bei diesem Gedenken mit dabei sein können, wird zeitgleich von Stadt, Polizei und Verein der folgende kurze Film ein vom Theaterkollektiv "Pièrre.Vers" für unser diesjähriges Gedenken an die "Aktion Rheinland" gefertigter Auszug ihres Gedenkstücks „Aktion: Aktion!“ in die Webseiten von Stadt, Polizei und Verein eingestellt. Darüber hinaus wird es einen Kurzbericht des städtischen Presseamtes über das Gedenken auf der Webseite der Stadt geben.
Beim Gedenken hat Frau Claudia Siebner, Enkelin von Aloys Odenthal, eine kleine sehr berührende Ansprache gehalten, in der sie schilderte, was die Männer der „Aktion Rheinland“ bewegte, als die des Morgens am 16. April 1945 von zu Hause zum Polizeipräsidium aufbrachen und wie sie all ihren Ängsten und ihrer Furcht zum Trotz dieses Wagnis, das auch ihr Leben kosten konnte, auf sich nahmen, um die Stadt und die noch in ihr lebenden, geplagten Menschen vor letzter Zerstörung zu retten. Sie beschwor ihren Mut, ihre aufrechtes Handeln, ihre Uneigennützigkeit, um dem Wohl der Menschen, der Gemeinschaft nützlich zu sein. Könne dieses aufrechte Handeln dieser Männer, das fünf von ihnen mit dem Leben bezahlten, uns heute noch etwas sagen? Sei und bleibe es notwendig, daran und an sie Jahr um Jahr zu erinnern? Und was und welche Verpflichtungen wüchsen daraus für uns?
Sie hat uns ihre Ansprache zur Verfügung gestellt. Daher lesen sie selbst:
'Ich muss gehen. Es wird höchste Zeit!' Mit diesen Worten verließ mein Großvater Aloys Odenthal am Morgen des 16. April seine Familie in der Metzkauser Straße in Gerresheim. Niemand, weder meine Oma, meine damals fast 4-jährige Tante noch meine damals 7-jährige Mutter wussten, was das bedeutete. Große Angst war offensichtlich zu spüren, nichts ahnend was in den nächsten Stunden geschehen wird. Und wie meine Mutter auch heute noch sagt, war meine Oma bemüht, ihre eigene Angst nicht so deutlich zu zeigen; dennoch verspürte auch meine Mutter eine große Unsicherheit bei den Worten: „Ich muss gehen!“. Sie kann sich bis heute genau an die Situation erinnern.
Es sollten dramatische Ereignisse werden und das Gedenken am heutigen Tag gilt den Widerstandskämpfern der Aktion Rheinland, die das mit ihrem Leben bezahlen mussten: Theodeor Andresen, Karl Kleppe, Josel Knab und Herrmann Weill, ebenso wie zuvor bereits Franz Jürgens
Die Ermordung nach dem Verrat ihrer Aktion im Polizeipräsidium ist für Düsseldorf der traurigste und schmerzerfüllteste Höhepunkt der NS-Schreckensherrschaft hier ganz konkret vor Ort, die insgesamt Abermillionen Menschen das Leben gekostet hat, alleine 6 Millionen jüdische Opfer. Ich weiß, dass mein Großvater sein ganzes Leben mit großer Trauer über das Geschehen jener Tage im April gesprochen hat. Vielleicht darf ich mit der gebotenen Zurückhaltung soweit gehen und sagen unsere Familien stehen heute stellvertretend für die beiden extremen Pole des 16. und 17. April.
Das erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und das macht es in der Nachbetrachtung eben auch sehr schwer, denn viel Leid hat dieser Tag gebracht und niemand kann bis heute Ihre Tränen, liebe Frau Andresen, trocknen. Dieser Tag ist für Sie mit tiefster persönlicher Trauer verbunden und ich weiß aus den früheren Begegnungen mit Ihrem Vater, wie schwer ihre Familie immer wieder bei jedem Gedenken betroffen war. Das Leben Ihrer Familie, ganz besonders das Ihrer Oma, war jahrzehntelang von dieser großen Trauer geprägt. Tod und Überleben zwei Seiten eines Geschehens.
Wenn wir uns den Morgen des 16. April anschauen, dann haben beide Väter ihre Familien verlassen, beiden war sich sicher voll und ganz bewusst, dass sie im Zweifel auch nicht nach Hause zurückkehren, denn alle Mitstreiter der Gruppe waren bereit für die Menschen, für die Mitbürgerinnen und Mitbürger in ihrer Heimatstadt Düsseldorf, ihr eigenes Leben zu opfern. Wer dazu bereit ist, muss von mehr als großer uneigennütziger Handlungsweise geleitet sein, verbunden mit große Heimatliebe.
Dies beeindruckt mich bis heute, sind dies doch keine selbstverständlichen Eigenschaften. Sie alle wussten, es kann nur ein Versuch sein mit dem eigenen Einsatz zu verhindern, dass das Naziregime weitere Todesopfer fordert.
Viele detaillierte Vorbereitungen mit großer Geheimhaltung und ebenso großem Vertrauen. Alle Eventualitäten mussten bedacht werden und wir wissen aus der Geschichte nur zu gut, wie viele Menschen im Widerstand verraten wurden und dann keine Chance hatten ihr Vorhaben umzuset-zen. Die allermeisten haben dies mit ihrem Leben bezahlt. Leider auch hier an dieser Stelle. Sie konnten den Plan am 16.4. nicht zu Ende bringen, ein Verrat der Aktion mit schrecklichen Folgen. Es musste wohl alles sehr schnell gehen, in turbulenten Minuten unverzügliches Handeln, eine absolute Ausnahmesituation.
Ich weiß aus den Erzählungen meines Großvaters, dass der Weg vom Polizeipräsidium zunächst mit dem Auto und dann zu Fuß weiter über Hubbelrath nach Mettmann auch von großer Not geprägt war, eine unachtsame Handlung auf dem Weg hätte weitere schreckliche Folgen gehabt, aber auch gerade bei meinem Großvater zeigte sich in diesen Stunden großes Gottvertrauen. Wirklich ganz furchtbar war aber die große Ungewissheit, was wohl mit den, wie mein Opa sagte, „Kameraden“ geschehen ist. Das hat ihn wirklich begleitet, auch Jahrzehnte später bis zum Lebensende nicht losgelassen.
Das Ziel, Düsseldorf kampflos zu übergeben, wurde erreicht - der Preis war hoch!!! Ob der Weg der Befreiung von Beginn an dann wirklich ein Weg der Befreiung sein konnte, ist deshalb wohl eher eine Beschreibung aus heutiger Sicht.
Wenn wir uns heute hier erinnern, und ich mich im Namen meiner Familie vor den Opfern in tiefer Demut verneige, so ist es mehr denn je wichtig, niemals zu vergessen, niemals in Gleichgültigkeit zu verfallen und niemals wortlos und mutlos zu sein gegenüber den leider mehr als besorgniserregenden rechtsradikalen Aufmärschen, rechtsradikalen Parolen in unseren Parlamenten, auf Veranstaltung und geschichtsklitternden Äußerungen - überall im Alltag. An vielen Stellen finden wir wieder alltagstaugliche Begrifflichkeiten wie „unwertes Leben, das vernichtet werden muss“, die wir längst vergessen glaubten.
Das sind leider mehr als die früher berühmten Stammtischparolen von Wenigen. Wenn Menschen wieder Angst haben müssen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihres Lebensentwurfs verfolgt zu werden, ihnen auch heute wieder Verachtung und Terror entgegenschlägt und sie wieder Opfer von Anschlägen werden, dann müssen wir uns mit aller Kraft überall dagegen stemmen, denn der erneute Hass, die Verunglimpfung und die Verharmlosung sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Das müssen wir sehen und deutlich erkennen. Das müssen wir benennen und immer, immer wieder zum Thema machen. Wir dürfen nie wegschauen, wir müssen uns mit allen unseren demokratischen Mitteln gegen alles Hasserfüllte wenden, damit diese Menschenverachtung niemals mehr mehrheitsfähig wird.
Es liegt in unseren Händen, nicht zu schweigen. Wir, die wir heute leben, gerade wir als die nachfolgende Generation, müssen von den damaligen Ereignissen des 16. und 17. April den Auftrag mitnehmen: Nie wieder!
Das sind wir den Opfern schuldig. Denn Gleichgültigkeit ist der Anfang eines erneuten Verbrechens an den Opfern! Genau deshalb muss unsere tiefe Sorge den aktuellen Entwicklungen gelten. Wir tragen hier und heute Verantwortung. Wir dürfen nicht schweigen und wir dürfen niemals vergessen.
Zentrale Aufgabe der Bildungsarbeit ist es, dass wir jungen Menschen vor Augen führen, was damals geschehen ist, dass wir im Rahmen der Erwachsenenbildung immer wieder Angebote machen, dass wir Gedenken und Erinnern aktiv leben, dass wir auch wachrütteln, wenn Gleichgültigkeit und Verharmlosung drohen.
Die Mahn- und Gedenkstätte öffnet Räume für Menschen damit Geschichte anschaulich und verstehbar wird. Herzlichen Dank an alle dort Engagierten, ganz besonders an Sie, lieber Herr Dr. Fleermann und Ihr Team.
Die Polizei-Aufarbeitung, sehr geehrter Herr Polizeipräsident Wesseler, insbesondere die Arbeit des Vereins Geschichte am Jürgensplatz, sehr geehrter Herr Dybowski, ist wohl ein fast einmaliges Zeichen echter Auseinandersetzung mit dem eigenen dunklen Kapitel der Geschichte. Es ist wichtiger denn je hier weiterzuarbeiten, damit die jungen Beamten die Möglichkeit haben mehr zu erfahren und möglicherweise auch zu fragen.
Die Stadt muss – und dafür stehen Sie, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Keller, eine Erinnerungs- oder Mahnkultur mit allen erdenklichen Mitteln fördern, hier sind Haushaltsmittel richtig eingesetzt. Hier müssen alle Bildungsmaßnahmen unterstützen werden, auch mit Landeshilfe für den Schulunterricht.
Denn Nicht-Kennen ist der Anfang von neuem Unrecht.
Deshalb ist diese Veranstaltung auch im pandemiebedingten kleinsten Rahmen ein Appell an alle, diese mehr als bedenkliche Entwicklung der letzten Jahre zu stoppen, ehe sie noch deutlicher Fahrt aufnimmt, lassen Sie uns deshalb heute gemeinsam die Botschaft des 16. April 1945 mitnehmen:
Diese Geschichte darf sich nie wiederholen. Wir dürfen niemals vergessen und wir müssen immer und immer wieder mahnen und erinnern. Denn nur wer die Vergangenheit und damit die Geschichte kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.
Deshalb: Nie wieder!
Vielen Dank!“
Claudia Siebner, Düsseldorf, am 16. April 2021